Die Genologen – ein Fake

Die Erfindung der Genologen war ein Kommunikationsguerilla-Projekt unserer Gruppe, ein wenig im Stil der »Yes Men«. Entstanden ist es aus der Bitte der hervorragenden Zeitschrift Gen-ethischer Informationsdienst (GiD), für ihre Jubiläumsausgabe einen satirischen Beitrag zur Kritik aktuellen Gen-Marketings zu gestalten. Dem sind wir natürlich sofort gerne nachgekommen, aber es schien uns zu langweilig, all die Hautcremes und anderen Produkte, die durch die Verwendung der Kürzel »DNA« oder »Gen« im Namen besonders hip sein wollen, einfach wie gewohnt aus linker Sicht zu kritisieren.

Also haben wir kurzerhand den »Bundesverband Deutscher Genologen« gegründet, der sich bitterlich über solch' irreführende Werbung beklagt. Schließlich seien nur echte »Genologen« (ein bis dato erstaunlicherweise nicht existenter Begriff) in der Lage, den Menschen hinsichtlich der Optimierung ihrer Erbanlagen zu helfen und nicht irgendwelche »DNA-Repair«-Kosmetikprodukte.

Um dem Ganzen zu einer gewissen Glaubwürdigkeit zu verhelfen, waren wir leider gezwungen, den Genologen auch noch eine eigene Website zu spendieren, denn eine Organisation ohne Internetpräsenz ist heutzutage ja quasi inexistent. www.genologen.de ist selbstverständlich immer noch online – viel Spaß damit.

Um die Verwirrung weiter zu steigern, haben wir dann schnell noch einen Angriff der erfundenen linksradikalen Gruppe C.A.G.T. (Commando Anti-Genes Training) auf die erfundenen Genologen sowie einen entsprechenden Zeitungsbericht darüber erfunden und alles zu einem komplett erfundenen BekennerInnenschreiben montiert, das dann schließlich als »Fundstück aus Hannover« in der GiD-Jubiläumsausgabe abgebildet wurde.

Dass »C.A.G.T.« sehr, nennen wir es mal wohlwollend, »schlicht« argumentiert und die Kommasetzung nicht beherrscht, bitten wir zu entschuldigen – der satirische Überschwang ist einfach mit uns durchgegangen, sodass auch die eigene Szene nicht ganz davon verschont bleiben konnte ...

Im Folgenden gibt's ein – in bester Fake-Tradition von uns selbst mit uns selbst geführtes – Interview vor allem zu diesem Projekt, aber auch zu den weiteren Zielen unserer Gruppe.

 

Wider den ›Genetic Worldview‹

Ein Interview mit dem AK Biopolitik (Bremen/Hannover)

Was ist der AK Biopolitik?

Der AK-Biopolitik ist aus einem Diskussionszusammenhang zur Kritik der EXPO 2000 in Hannover entstanden und existiert in seiner heutigen Zusammensetzung seit ca. 10 Jahren. Wir kommen aus unterschiedlichen basisdemokratisch orientierten linken Zusammenhängen und halten eine grundsätzliche Systemkritik nach wie vor für zentral.

Womit befasst ihr euch?

Foucault fasst Biopolitik als die staatliche Politik, die auf den Bevölkerungskörper und den individuellen Körper gerichtet ist. Das waren historisch z. B. Arbeitshäuser zur Disziplinierung der einzelnen Körper der ArbeiterInnen, also z. B. Tretmühlen, in denen bestimmte Formen von Arbeitsdiziplin überhaupt erst in die individuellen Körper eingeschrieben wurden, und das war und ist natürlich die Bevölkerungspolitik. Heute reicht das von medizinischen Diskursen, z. B. dem Präventionsdiskurs, über die medizinische individuelle Optimierung für den Arbeitsmarkt bis hin zur Politik der Grenzregimes (also Einwanderungspolitik). Alles Politiken, die darauf gerichtet sind, die einzelnen Körper und den Bevölkerungskörper für die kapitalistische Vernutzung zu optimieren.

Wir haben in den letzten Jahren primär zu medizinischen Diskursen und Politiken und zur Kritik der »roten«, also medizinischen Genetik gearbeitet.

Was macht ihr aktuell?

Das Letzte, was wir gemacht haben, war ein Spaßguerillaprojekt, das aber zu recht seltsamen Erfahrungen geführt hat.

Wieso?

Na ja, wir sind vom Gen-ethischen Informationsdienst gefragt worden, für ihre Jubiläumsausgabe eine satirische Seite zur Kritik aktuellen Gen-Marketings zu gestalten.

Unsere Idee war dann, das Ganze etwas zu drehen. Die GenetikpropagandistInnen im Bereich der Medizin haben ja längst Kreide gefressen und fordern eine Art ›kritische‹ Affirmation der Genetik. Wir haben kurzerhand den Bundesverband der Genologen gegründet, der sich gegen den Missbrauch genomischer Begrifflichkeiten und für die Förderung einer qualitativ abgesicherten Genomik ausspricht (www.genologen.de). Diese Satire ist uns auch gut gelungen, eine bayerische Genmedizinerin wollte gleich Mitglied bei uns werden. Dann wurde es aber unheimlich.

Warum, hört sich doch ganz witzig an?

Irgendwie haben alle die Satire ernst genommen und gar nicht begriffen. Satirische Artikel auf www.oekosmos.de (›Für eine ganzheitliche ökologische Genomik‹[1]) und auf www.utopia.de (›Von der Public Health Genomic zur Öko Genomic‹[2]), in denen wir das genetische Gewäsch mit Ökofloskeln und Gaia-Esoterik vermischt haben, sind dort völlig unkritisch aufgenommen worden. Der Begriff »Genologe«, den wir überhaupt erst erfunden haben, verbreitet sich inzwischen im Netz. Und parallel sind wir dann auf die Seiten von Prof. Angela Brandt und des Public Health Genomic Projektes der EU (www.phgen.eu) gestoßen. Die machen praktisch genau das, was wir uns satirisch ausgedacht hatten, nur meinen die das ernst.

Worum geht es da?

Auf der Oberfläche geht es darum, genetische Testverfahren und ihre Ergebnisse in praktisch alle medizinischen Behandlungen und insbesondere auch in die Prävention zu integrieren. Die Zukunftsvision der Public Health Genomic besteht darin, alle Menschen möglichst frühzeitig (am besten pränatal) mit genetischen Screenings zu erfassen und dann eine Art individuelle Genkarte zu erstellen, die Aussagen über genetische Defizite und Krankheitsdispositionen treffen soll. Die Menschen sollen von Anfang an entsprechend medikalisiert werden bzw. mit entsprechenden disziplinatorischen Handlungsanweisungen konfrontiert werden, um diese Dispositionen auszugleichen.

Was macht das Public Health Genomic Projekt der EU konkret?

Das EU-finanzierte Projekt arbeitet Empfehlungen für Rahmensetzungen und Aktionsprogramme zur Durchsetzung der Public Health Genomic auf EU-Ebene aus, also für juristische Rahmenbedingungen, Normen, Best-Practice-Richtlinien, Förderung, Zusammenarbeit, Marktintegration, usw.

Da gibt es z. B. die Forderung, möglichst flächendeckende Genscreenings in die frühkindlichen medizinischen Untersuchungen zu integrieren.

Aber kommt das nicht den Menschen zu Gute?

Nein, der Genetic Worldview, der hier propagiert und teils auch mit staatlicher Macht durchgesetzt wird, stärkt zwei autoritäre Tendenzen massiv.

Erstens ganz trivial die Genetisierung/Biologisierung des Menschenbildes und damit Tendenzen, die wir in Deutschland aus der Rassenhygiene kennen und aktuell aus den Diskussionen um Sarrazin.

Und zweitens kommt es zu einer Verschärfung der Selbstoptimierungszwänge, die wir auch aus anderen Gesellschaftsbereichen (Bildung) kennen. Die Publich Health Genomic vermittelt eine Ideologie, die besagt, dass du mit dem notwendigen genetischen Wissen bei ›richtigem Verhalten‹ Krankheit vermeiden könntest. Die Kranken sind dann also zukünftig selber schuld und entsprechend ist dies eine Legitimationsstrategie, ihnen die Versorgungsleistungen zu kürzen.

Aber stehen diese beiden Tendenzen nicht im Widerspruch? Für meine Biologie bin ich doch nicht verantwortlich?

Das stimmt, aber gerade diese Widersprüchlichkeit ist eine der Stärken der Propaganda, da nach Bedarf ein Wechsel zwischen diesen Positionen stattfindet.

Der Trick besteht aus einer doppelten Lüge: Die erste Lüge ist, den Menschen einzureden, genetische Ursachen wären für so gut wie alles von zentraler Relevanz. Die zweite Lüge besteht darin, das darauf aufbauend die Möglichkeit einer biologisch/medizinischen Lösung aller möglichen Probleme vorgegaukelt wird.

Ich muss meine Kinder nur früh genug mit den richtigen Medikamenten vollpumpen und sie entsprechend disziplinieren - also Sport treiben lassen, kein Fastfood usw. –, dann werden sie nach dieser Ideologie nicht krank.

Seht ihr die Gefahr »genetischer Ausgrenzung«?

Na ja, das mit der Medikalisierung und Disziplinierung wird in vielen Fällen gar nichts bringen. Dann kommt garantiert die genetisch-rassistische Argumentation, dass bei diesen Menschen das Genom eben so schlecht wäre, dass nun einmal nichts zu machen wäre und es sich auch nicht lohnen würde. Außerdem wird es bei ›knappen‹ Mitteln zu genetischen Diskriminierungen kommen.

Aber ist nicht ganz vieles vom Genom abhängig?

Nein, das ist aber auch zum Teil eine Frage danach, was eine Ursache ist, was normal ist, usw. Es gibt z. B. Schwankungen im Lungenvolumen. Unter den Umweltbedingungen, unter denen wir leben, sind diese Unterschiede für einen Großteil der Menschen irrelevant. Würden wir aber den Sauerstoffgehalt der Luft durch Umweltzerstörung drastisch reduzieren, könnte die Folge z. B. sein, dass nur noch die 10 % mit dem maximalen Lungenvolumen überlebensfähig wären. Was würdest du sagen, wenn jemand behaupten würde, dass die anderen 90 % an krankhaftem Lugenvolumensdefizit gestorben sind?

Die Unterschiede im Genom der Menschen sind natürlicherweise vorhanden, sie zur Krankheitsursache zu erklären heißt, sie definitorisch aus einer Normalitätsnorm auszugrenzen. Dies ist eine völlig absurde Praxis der Verdrehung der Ursachen. Die Ursachen liegen in den Umwelt- und Gesellschaftsbedingungen, die die Menschen krank machen.

Wieso glauben die Menschen dann so etwas?

Die Genetik verspricht den Menschen einen Zuwachs an Handlungsoptionen. In einer Situation, in der viele aufgegeben haben, auch nur für die kleinsten politischen und sozialen Veränderungen zu kämpfen, z. B. am Arbeitsplatz, verspricht die genetische Medizin einfache biologische Lösungsmöglichkeiten. Bei Depression wirfst du einfach die entsprechenden Pillen ein, bei entsprechender Disposition möglichst schon vorsorglich, die Mühe, deine persönlichen und die Gesellschaftsverhältnisse umzuwälzen, brauchst du dir dann nicht mehr zu machen – und alles ist gut.

Außerdem bietet die ›genetic literacy‹ und die damit einhergehenden neuen Praxen des Umgangs mit dem eigenen Körper, die ›souveräne‹ medizinische Selbstoptimierung, eine weitere Möglichkeit für das BürgerInnentum, sich von anderen Schichten abzugrenzen, vergleichbar den Hygienediskursen zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Das heißt, hier entsteht auch eine neue Praxis der Klassenabgrenzung. Deutlich wird dies z. B. im aktuellen Diskurs über die Fettleibigkeit der Unterschicht.

Schön und gut, aber geht eure Kritik nicht noch tiefer?

Klar. Bei Analyse der Hintergründe dieser EU-Politik wird deutlich, dass es sich auch bei diesem Projekt um einen Teil der Lissabon-Strategie handelt. In der Lissabon-Strategie wurde als Ziel festgelegt, die EU zum wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsraum weltweit umzubauen. Im Gesundheitsbereich hat die EU deshalb als einen zentralen Maßstab für die Effizienz von Maßnahmen den Begriff der Healthy Life Years (HLY) eingeführt. Die HLY sind als Lebensjahre ohne Behinderung gefasst. Es geht dabei um die Lebenszeit, in der Menschen uneingeschränkt der Produktivität zur Verfügung stehen. Berechnet werden die HLY dadurch, dass die Lebensjahre mit einem Faktor gewichtet werden. Gesunde Lebensjahre werden auf diese Art und Weise höher bewertet als Lebensjahre mit eingeschränkter Gesundheit. Behindertes Leben wird damit als minderwertiges Leben gefasst (da nur eingeschränkt auf dem Arbeitsmarkt verwertbar).

Die-Public-Health-Genomic-Debatte bezieht sich auf diesen Maßstab.

Leider haben aber auch viele Linke längst diese funktionalistische Sicht auf das Leben unter Verwertungsgesichtspunkten übernommen, deutlich wird dies z. B. in den Debatten um die PID, also die (Präimplantations-Diagnostik.

Was sind Eure Forderungen?

Statt ›Healthy Life Years« interessieren uns mehr die »Happy Lazy Years«, das heißt, wie viel selbstbestimmte freie Lebenszeit, wieviel Glück und Spaß sind das Ergebniss einer Gesellschaft? Der Maßstab der Verwertbarkeit in kapitalistischen Verhältnissen, der in den »Healthy Life Years« eingeschrieben ist, kann nicht unser Maßstab sein. Was nutzt uns ein langes Leben, wenn wir es in Knechtschaft und Fron verbringen? Wir wollen dies alles weiter diskutieren und würden uns freuen, aus anderen Zusammenhängen zu hören, was sie dazu denken.